Warum Zweinutzungshühner?
Vom Zweinutzungshuhn zum Hochleistungsthuhn
Früher war jedes Huhn ein Zweinutzungshuhn: Die Hennen legten Eier, die Hähne (und nach einigen Jahren auch die nicht mehr so legefreudigen Hennen) wurden für ihr Fleisch geschlachtet. Eier und Fleisch waren wertvolle, selten konsumierte Lebensmittel. Aufgrund der steigenden Nachfrage wurde die Geflügelproduktion ab den 1950er-Jahren komplett neu aufgezogen und an die Bedürfnisse der auf Massentierhaltung basierenden industrialisierten Landwirtschaft angepasst: aus Effizienzgründen züchtet man seither zwei getrennte Hühnerlinien, die einseitig auf maximale Leistung getrimmt sind. Legehühner sollen möglichst viele Eier legen, Masthühner möglichst viel Fleisch ansetzen. Solche Hochleistungshühner werden seither weltweit in der heute üblichen Massenproduktion von Eiern und Hühnerfleisch eingesetzt, wobei die Leistung der Tiere immer weiter gesteigert wurde (und wird). In der Bio-Produktion kommen in der Regel ebenfalls einseitig genutzte Hochleistungshühner zum Einsatz, wenn diese auch etwas weniger leistungsstark sind und sich dadurch überhaupt erst für die in der Bio-Produktion vorgeschriebene tiergerechtere und ökologischere Haltung eignen.
Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in der Geflügelindustrie bringt Probleme auf verschiedenen Ebenen mit sich:
Tierwohl und Ethik
• Auf einseitige Hochleistung gezüchtete Hühner leiden unter ihrer unnatürlich hohen Leistung: Knochenbrüche, Gelenkschäden und verschiedene Erkrankungen sind standardmässig auftretende Folgen von zu schnellem Wachstum in der Hühnermast und zu hoher Legeleistung in der Eierproduktion.
• Die Hähne von Legelinien sind nutzlos, da sie weder Eier legen noch eine brauchbare Menge Fleisch ansetzen. Männliche Küken werden deshalb in der Regel direkt nach dem Schlüpfen getötet. (In der Schweiz ist diese Praxis in der Bio-Branche ab 2026 verboten.)
• Hochleistungs-Legehennen werden aufgrund ihrer nachlassenden Legeleistung nach nur einem Jahr aussortiert und getötet. In der Schweiz endet die Hälfte der ausgedienten Legehennen in der Biogas-Anlage und wird nicht für ihr Fleisch genutzt.
Umwelt
• Hochleistungstiere brauchen «Hochleistungsfutter»: Um die für die intensive Eier- und Fleisch-Produktion benötigten energie- und eiweissreichen Futtermittel auf Soja- und Getreidebasis anzubauen, werden weltweit enorme Ressourcen aufgewendet, wird die Umwelt durch schädliche Pestizide belastet und werden wertvolle Ökosysteme vernichtet, zum Beispiel Regenwälder. Etwa 75% des für die Schweizer Eier- und Hühnerfleischproduktion benötigten Futters muss aus dem Ausland importiert werden.
Soziale Aspekte
• Das Huhn ist ein Nahrungskonkurrent des Menschen: es isst (ebenso wie das Schwein) das Gleiche wie wir. Ein Drittel der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflächen wird für den Anbau von Tierfutter genutzt – diese Fläche fehlt beim Anbau von Lebensmitteln für den direkten menschlichen Konsum. Der grosse Appetit der Industrieländer nach Eiern und Hühnerfleisch führt anderswo zu Hunger.
• Mit dem Export von bei uns nicht nachgefragten Hühnerfleisch-Teilstücken in den globalen Süden wird der lokalen Wirtschaft in den entsprechenden Ländern erheblichen Schaden zugefügt.
• Alle weltweit existierenden Hochleistungshühner werden von einer Handvoll internationaler Grosskonzerne gezüchtet. Bauern und Bäuerinnen können die Hühner nicht selbst vermehren, sie sind vollständig von den Konzernen abhängig.
Gesundheit
• Der hohe Einsatz von Antibiotika in der Massenproduktion von Geflügel führt zu immer mehr Antibiotika-Resistenzen: für uns Menschen lebenswichtige Medikamente wirken immer öfter nicht mehr.
• In Massen auf engem Raum gehaltene Hühner sind hochgradig anfällig für Seuchen, auch für gefährliche Zoonosen, also Seuchen, die von Tieren auf den Menschen übertragbar sind.
Kurz: Die heute übliche, Jahr für Jahr weiter wachsende, intensive Eier- und Hühnerfleisch-Produktion mit Hochleistungshühnern ist eine Katastrophe für die Tiere und die Umwelt und verschärft die globale soziale Ungerechtigkeit. Einige der geschilderten Missstände treffen auch auf die biologische Produktion von Eiern und Hühnerfleisch zu. (–> In unseren Fragen und Antworten widmen wir uns ausführlich der Frage «Ist einfach bio denn nicht gut genug?»)
Zurück zum Zweinutzungshuhn
Da die meisten der genannten Probleme direkt auf die Hühnerrasse (und nicht etwa nur auf die Haltungsbedingungen) zurückzuführen sind, können wir ihnen nur entgegenwirken, wenn wir von den Hochleistungshühnern wegkommen und stattdessen zurückkehren zum extensiven Zweinutzungshuhn, das gleichzeitig für die Eier- und die Fleischproduktion genutzt werden kann. Das sind die Vorteile des Zweinutzungshuhns:
Tierwohl und Ethik
• Zweinutzungshühner wachsen langsamer, legen weniger Eier und setzen deutlich weniger Brustfleisch an. Sie sind deshalb robuster und gesünder und eignen sich dadurch überhaupt erst für eine tiergerechte Haltung, also für die Freilandhaltung und die biologische Landwirtschaft.
• Das sinnlose Töten der männlichen Küken in der Eierproduktion fällt weg, die Hähne werden für ihr Fleisch aufgezogen.
• Die robusteren Zweinutzungs-Legehennen können zwei oder mehr Jahre lang für die Eier-Produktion genutzt werden. Danach werden sie geschlachtet und als hochwertiges Suppenhuhn verwendet.
Umwelt und soziale Aspekte
• Da Zweinutzungshühner weniger leisten, also weniger Eier legen und weniger Fleisch ansetzen, benötigen sie weniger energiereiches Futter. Statt mit Soja und hochwertigem Getreide (das wir Menschen auch selbst essen könnten) können Zweinutzungshühner zu einem grossen Teil mit für die menschliche Ernährung nicht geeigneten Nebenprodukten aus der Lebensmittelproduktion gefüttert werden, z.B. mit Getreidekleie, Presskuchen aus der Ölproduktion etc. Die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Futteranbaus werden so deutlich reduziert.
• Mit dem Zweinutzungshuhn gelangt die Zucht zurück in die Hände der Bauern und Bäuerinnen: Die Tiere können von den Produzent:innen selber vermehrt werden.
Gesundheit
• In kleinbäuerlichen Strukturen gehaltene robuste Zweinutzungshühner benötigen einen Bruchteil der heute eingesetzten Medikamente und sind weniger anfällig für gefährliche Seuchen.
Das Zweinutzungshuhn hat das Potenzial, auf einen Schlag viele Probleme der heutigen Geflügelproduktion zu lösen, weil es diese an der Wurzel packt und so die eigentliche Ursache und nicht nur einzelne Symptome bekämpft. Unserer Meinung nach stellt die Umstellung auf das Zweinutzungshuhn in Kombination mit einer biologischen Produktionsweise den einzigen sinnvollen Ansatz dar, um möglichst nachhaltig Eier und Hühnerfleisch zu produzieren. Einige Bio-Organisationen (z.B. Demeter) haben sich bereits entschieden, in Zukunft auf das Zweinutzungshuhn zu setzen. Durch das im Bio-Bereich per 2026 in Kraft tretende Kükentötungsverbot dürfte es in Zukunft immer mehr Anbieter:innen von Zweinutzungshuhn-Produkten geben. Hier haben wir die Adressen von uns bekannten Produzent:innen zusammengetragen, die heute schon Eier und Hühnerfleisch von Rassehühnern und Zweinutzungshühnern aus ökologischer Zucht anbieten. Je mehr wir diese unterstützen, indem wir ihre Produkte kaufen, umso grösser ist die Motivation für andere Bauern und Bäuerinnen, ebenfalls auf das Zweinutzungshuhn umzusteigen!
Besser heisst auch weniger
Zwar rufen wir hier mit Überzeugung zum Konsum von Zweinutzungshuhn-Produkten auf, gleichzeitig plädieren wir dafür, grundsätzlich weniger Eier und Hühnerfleisch zu konsumieren. Warum? Mit einer ganzheitlich nachhaltigen Produktion, die nicht auf der Ausbeutung von Tier, Natur und Mensch basiert, ist es nicht mehr möglich, die heute konsumierten Mengen zu produzieren. Verzichten wir etwa darauf, Tiere mit für die menschliche Ernährung geeigneten Lebensmitteln wie Soja und Getreide zu füttern und setzen stattdessen auf ökologisch und lokal produziertes Futter, das primär auf landwirtschaftlichen Nebenprodukten basiert, kann damit nur ein Bruchteil der heutigen Tierbestände gehalten werden. Auch die tiefere Leistung der Zweinutzungshühner (langsameres Wachstum bei den Hähnen und niedrigere Legeleistung bei den Hennen) reduziert die mögliche Produktionsmenge. Für eine nachhaltige Entwicklung müssen wir also nicht nur auf andere Produkte umsteigen, sondern gleichzeitig unseren Konsum reduzieren. Dabei ist zu bedenken: Mit dem Zweinutzungshuhn steht die verfügbare Fleischmenge in direkter Abhängigkeit von der Anzahl produzierter Eier, da es exakt gleich viele weibliche wie männliche Tiere gibt. –> In unserer Antwort auf die Frage «Wie viel Eier und Hühnerfleisch «darf» man eigentlich essen?» haben wir berechnet, wieviel Fleisch auf welche Menge Eier anfällt und wieviele Eier wir überhaupt noch essen könnten, wenn diese konsequent nachhaltig produziert würden – Spoiler: nicht viel. Geniessen wir Eier und Hühnerfleisch deshalb nach dem Prinzip «weniger, dafür besser», zum Beispiel mit unseren Rezepten für Fleisch vom Zweinutzungshuhn!
Anmerkung: Zweinutzungshähne sind nicht zu verwechseln mit den meist als «Bruderhähne» angebotenen Brüdern von Hochleistungs-Legehennen. Auch gibt es unterschiedliche Zweinutzungshühner. –> In unseren Fragen und Antworten erklären wir, weshalb wir den «Bruderhahn» für eine Scheinlösung halten und warum wir eine der verschiedenen Zweinutzungshuhn-Varianten kritisch sehen.